Aus den Lebenserinnerungen meines Vaters H. M. Siebert


Haltung im beginnenden "Kirchenkampf"

(Ab S. 57 unten …)

"Ich muss nun noch einiges schreiben im Blick auf den bald nach der 'Machtergreifung' beginnenden Kirchenkampf.

Die Nationalsozialisten rissen alle Macht im Staat an sich, zerschlugen alle Parteien mit Ausnahme der eigenen, die Gewerkschaften und Jugendverbände. Sie schalteten alles gleich - Bauernverbände, Kriegervereine, Wirtschaftsorganisationen, alles, und sie erstickten jeden Widerstand mit Brutalität und Gewalt. Sie errichteten die Konzentrationslager zunächst zur 'Umerziehung' der Widerspenstigen und Andersdenkenden später zu ihrer Vernichtung. Sie schlossen zwar mit der römisch-katholischen Kirche ein Konkordat ab, das sie aber von Anfang an nicht hielten und je länger je mehr völlig ignorierten. Die evangelische Kirche Deutschlands aber versuchten sie durch die 'Glaubensbewegung Deutsche Christen' zu erobern, um sie in jeder Beziehung zum Büttel des NS-Staates zu machen.

Ich kann hier nun nicht eine Geschichte des Kirchenkampfes vortragen, ich will nur sagen, dass ich von Anfang an der Überzeugung war: Kirche muss Kirche bleiben.

Parteiausschluß 6. Februar 1934
Parteiausschluß 6. Februar 1934

So schloss ich mich gleich dem 'Pfarrernotbund' an und der 'Bekennenden Kirche' und habe von Anfang an der falschen Lehre der Deutschen Christen widerstanden.

Schon bei den Kirchenwahlen im Sommer 1933 wehrte ich mich gegen sie und gegen das Eintreten und Werben des Katholiken Adolf Hitler für die Deutschen Christen. Ich lehnte den Reichsbischof Müller - auch in der Predigt - entschieden ab und wurde schon 1934 aus der Partei aufgrund meiner weltanschaulichen Einstellung vom damaligen Kreisleiter Josef Kircher ausgeschlossen. Sein Nachfolger Hochhaus aus Großenmoor zog diesen Ausschluss zwar wieder zurück, aber ich habe nie ein Mitgliedsbuch der NSDAP besessen und auch keine Beiträge bezahlt...


Im Verlauf des Kirchenkampfes hatte ich mich 1935 oder Anfang 1936 der Evangelischen Michaelsbruderschaft angeschlossen, einer liturgischkirchlichen Erneuerungsbewegung, deren langjähriger Leiter Bischof Wilhelm Stählin und der Marburger Pfarrer Karl Bernhard Ritter waren. Auch mein Bruder (Hans Theodor) gehörte ihr an. Ich machte einige Tagungen und Konvente dieser Bruderschaft mit …, trat aber 1940 oder 41 wieder aus, weil mir viele Dinge zu katholisierend erschienen. Trotzdem verdanke ich der Michaelsbruderschaft … mancherlei Anregungen und habe die von Ritter und anderen herausgegebenen liturgischen Ordnungen … immer gerne benutzt."

 

Den Nazis ein Dorn im Auge und mehrmals angezeigt

(Ab S. 58 etwa Mitte …)

"Meine anfängliche Begeisterung für das "3. Reich" wich einer tiefen Skepsis, wenn ich auch lange nicht loskam von einer grundsätzlichen Bejahung nationaler Erneuerung. Aber ich war den Parteigewaltigen je länger je mehr ein Dorn im Auge und wurde des Öfteren auch angezeigt, so z. B. von dem Wehrdaer Lehrer wegen einer Predigt, die ich in Wehrda gehalten hatte.

Bei der Gerichtsverhandlung in Hünfeld fiel er aber mit seinen Anschuldigungen herunter, da der Richter meinte, mir nicht verwehren zu können, dass ich den christlichen Glauben klar abgrenze gegenüber Äußerungen Rosenbergs und des Reichsjugendführers Baldur von Schirach.

Aufgrund einer Amnestie wurde aber dann das Verfahren eingestellt.

Auch der Rothenkirchener Lehrer Brede hat mich einmal angezeigt.

Einmal holten mich die Beamten der GESTAPO aus der Konfirmandenstunde und nahmen mich zur Vernehmung mit in die Gendarmerie-wohnung.

Aber auch diese Sache ging gut ab.

Pfarrer Schuchard (Wehrda) hat mich 1933 oder 1934 mal bei der Partei angezeigt, und ich verdanke ihm den frühen Rausschmiss aus der NSDAP. (s.o. über die Amtsbrüder im Kirchenkreis Fulda)

Das Vergehen: In einer Predigt den Reichsjugendführer als Verführer der Jugend bezeichnet!
Das Vergehen: In einer Predigt den Reichsjugendführer als Verführer der Jugend bezeichnet!

Alles in allem habe ich - und die meisten evangelischen Pfarrer - viel zu wenig Widerstand geleistet gegen die totalitären Machthaber und ihre Instanzen. Man wurde ja auch immer wieder von der Mutter und den Felsberger Schwiegereltern gebremst. "Warum willst denn Du Dich ausgerechnet so exponieren? Denk doch an Deine Familie!

 

Ich habe in jenen 30er Jahren bis zum Ausbruch des Krieges eine ganze Reihe kirchlicher Aktivitäten entwickelt. Die berühmten "roten Karten" (Mitgliedskarten) der Bekennenden Kirche wurden im Kirchspiel ausgegeben und von sehr vielen Gemeindegliedern unterschrieben. Mit zahlreichen Gemeindegliedern fuhr ich nach Hersfeld zu einer großen BK-Veranstaltung. In Burghaun war in der übervollen Kirche ein Bekenntnisgottesdienst mit den Frankfurter Pfarrern Schmidt und Creter von der Dreikönigskirche. Pfarrer Heppe aus Cölbe, der Vorsitzende des Pfarrernotbundes bestritt einen weiteren Abend (3.4.1935).

Mit einem recht primitiven Vervielfältigungsapparat stellte ich einen Gemeindebrief her: 'Der Ruf Deiner Heimatkirche'. Sehr gut besuchte Volksmissionswochen fanden in Burghaun und Rothenkirchen statt (Volksmissionar Müller aus Dillenburg 25.2.1935 - 3.3.35 und Pfarrer Hagen aus Berlin von der Wiechernvereinigung im Oktober 1935). Im Pfarrgarten auf den Grasterrassen hielten wir bei herrlichem Wetter ein großes Volksmissionsfest ab mit Pfarrer Selenca und 'Bundesgauwart' Jourdan, beide aus Kassel, 1937 oder 38 nochmals Volksmissionsabende mit Erich Freudenstein, Hersfeld. Schließlich seien noch die Vortragsabende erwähnt, die wir mit wechselnden Rednern (Apel - Cruspis, Martiny - Wehrda, ich und andere) in Burghaun und anderen Gemeinden unseres Kirchenkreises hielten. Dazu kamen regelmäßige Besuche des evangelischen Filmdienstes aus Kassel, der Bundesgauwarte des CVJM, Missionsveranstaltungen (Schmoll u.a.), eine Bibelwoche für die Frauen und Mädchen der Gemeinde (Jan. 1937) mit Walburg Schreiber.

Natürlich waren alle diese Veranstaltungen den Parteibonzen in Burghaun und Rothenkirchen (den sog. Goldfasanen) ein Dorn im Auge. Die Spitzel aber, die sie in die Gemeindeveranstaltungen schickten, waren allermeist zu dumm, um brauchbares Material gegen mich und die Gastredner zu sammeln. In den Polizeibeamten in den Nachbarhäusern (die Polizisten Seibel und Weisel nebenan) hatte ich zudem gute Nachbarn. Wenn sie mich auf Veranlassung der Staatspolizei im Sonntagsgottesdienst abzuhören hatten, ließen sie es mich vorher wissen. Besonders die Abkündigungen der B.K. gaben wiederholt dazu Anlass. …"