Aus den Lebenserinnerungen meines Vaters H. M. Siebert


Die protestantischen Amtsbrüder im Kirchenkreis Fulda in den dreißiger Jahren

(Ab S. 56 oben …)

"Im Herbst 1933 hatte ich das Kirchspiel Hünfeld abgeben können, die Pfarrstelle war neu besetzt worden, 1) und Pfarrer Georg Bill mit Frau, Sohn, Tochter und der alten Großmutter waren in Hünfeld im Pfarrhaus eingezogen. Mit Bills verband uns bald eine gute Freundschaft; sie waren zwar wesentlich älter als wir, aber von großer Herzlichkeit. Bruder Bill hatte in seiner vorigen Gemeinde Langenselbold zuerst seine Kämpfe mit den Kommunisten gehabt und dann sehr bald mit den Nationalsozialisten. Nun hoffte er, in Hünfeld mit seiner kleinen evangelischen Gemeinde es etwas leichter zu haben.

Die anderen Amtsbrüder waren alle ziemlich weit vom "Schuss". Rausch, der "König von Buchenau", ließ keine anderen Pfarrer auf seine Kanzel, war Unterverbandsdirektor vom Raiffeisenverein und Vertrauensmann des Pfarrervereins; er war sehr korrekt und "kollegial". Er kannte noch meinen Vater von Eichen her, wo er seine erste Predigt gehalten hatte. In den Jahren des Kirchenkampfes gehörte er weder zu den "Bekennern" noch zu den "Deutschen Christen".

Der alte von Kietzell in Neukirchen hatte eine sehr viel jüngere und nette Frau, die ihn, den Alten, "aufmöbelte" so dass der alte Knabe schließlich "Deutscher Christ" wurde und im SA-Sturm mit marschierte. - Nach seiner Pensionierung kamen Dehnhards nach Neukirchen, wo auch die tüchtige Pfarrfrau die Unzulänglichkeiten des Mannes milderte.

In Wehrda, der einstigen Gemeinde meines Vaters, 2) war Pfarrer Schuchard, ein Studien- und Altersgenosse meines Bruders. Er hat mich 1933 oder 1934 mal bei der Partei angezeigt, und ich verdanke ihm den frühen Rausschmiss aus der NSDAP. Er quittierte schließlich den Pfarrdienst und wurde Kreisleiter der Partei in Ziegenhain, trat aus der Kirche aus und spielte als Kreisleiter eine sehr unrühmliche Rolle.

In Langenschwarz haben sich wegen der ungünstigen Verkehrslage die Pfarrer nie sehr lange gehalten. Wir haben während unserer Burghauner Jahre dort vier Pfarrer mit ihren Familien erlebt. Zuerst waren es Höhns, die 1933 nach Waldau bei Kassel gingen, dann kamen Zimmermanns, mit denen wir guten Kontakt hatten; sie gingen 1938 nach Fulda. Dann kam Heinrich Krück mit Frau, ihre Kinder wurden später in Langenschwarz geboren. Auch mit Krücks hielten wir gute Nachbarschaft, von ihnen wird später noch zu reden sein. Schließlich übernahm im Herbst 1945 Pfarrer Hahn von mir die Pfarrei Langenschwarz. 3)

In Mansbach saßen Wolffs, ich kannte ihn schon von Marburg her, er war außer mir der einzige im Kreis Hünfeld, der von Anfang an zum "Pfarrernotbund" und der "Bekennenden Kirche" gehörte. …

Noch kurz einen Blick auf den übrigen Kirchenkreis und die dreißiger Jahre:

Mein erster Superintendent war Kreispfarrer Weber in Fulda. Dann kam 1933 Hattendorf, der wenige Jahre nach Übernahme des Kreispfarramtes starb, ein Opfer des Kirchenkampfes in Fulda mit seinen Aufregungen und Zerreißproben! Nach seinem Tode herrschten in Fulda die "Deutschen Christen" fast unbeschränkt mit dem wilden Reichart, dem zwielichtigen Otto und dem guten Bolender, der sich der "Thüringer Richtung der deutschen Christen" angeschlossen hatte. Pfarrer Spieß aus Oberkalbach hatte sich außer Bolender um die 2. Pfarrstelle in Fulda beworben, da er aber zur "B.K." gehörte, ließ ihn der Fuldaer Kirchenvorstand überhaupt nicht in Fulda auf die Kanzel. Er hielt seine Probepredigt in Burghaun, wohin zu diesem Gottesdienst zahlreiche Fuldaer Gemeindeglieder, die zur B.K. gehörten, gekommen waren. Natürlich bekam Spieß die Pfarrstelle nicht, sondern Bolender.

Der dritte Kreispfarrer war dann Fritsch in Hettenhausen, der nach dem Abklingen des Kirchenkampfes schließlich von allen im Kirchenkreis toleriert wurde. Ich habe ihn geschätzt, obwohl er in Verwaltungssachen sehr pedantisch war und uns viel beschäftigten Pfarrern während des Krieges manchen Ärger machte.

Schließlich kam nach dem 2. Weltkrieg Willy Schuster (der "Doppelkopp"), ehemaliger Militärdekan, von ihm wird noch zu reden sein. Superintendent, Kreispfarrer, Dekan - so wechselten übrigens die Bezeichnungen!

Bleiben noch zu nennen die streitbaren Bekenner in den bis 1866 bayerischen Gemeinden Gersfeld und Tann, meine Uthenreuther Bundesbrüder Langheinrich und Bäumler. Aber die waren 30 bis 40 km weit weg von Burghaun und unsere Begegnungen waren selten, aber sie waren mir lieb und wert. 4) Schließlich saß noch der Amtsbruder Kahl in Dalherda, dem höchst gelegenen Kirchspiel der Landeskirche. Als "Deutscher Christ" avancierte er nach Hanau, als Dalherda in den neuen Truppenübungsplatz Wildflecken einbezogen wurde. Die allermeisten der Genannten "deckt der grüne Rasen" (1976)."

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